Händler der vier Jahreszeiten

  • Produktionsland: Deutschland
    Produktion: Tango (Ingrid Caven, Rainer Werner Fassbinder, Michael Fengler)
    Erscheinungsjahr: 1972
    Regie: Rainer Werner Fassbinder
    Drehbuch: Rainer Werner Fassbinder
    Kamera: Dietrich Lohmann
    Schnitt: Thea Eymèsz
    Kostüme: Kurt Raab und Uta Wilhelm
    Budget: ca. 325.000 Tausend DM
    Musik: Archivmusik (u. a. Rocco Granata)
    Länge: ca. 89 Minuten
    Freigabe: FSK 16
    Deutscher Kinostart: 10. März 1973

    Darsteller:

    Hans Hirschmüller: Hans Epp
    Irm Hermann: Irmgard Epp
    Andrea Schober: Renate Epp, Tochter
    Gusti Kreissl: Mutter Epp
    Klaus Löwitsch: Harry
    Karl Scheydt: Anzell
    Hanna Schygulla: Anna
    Kurt Raab: Kurt
    Ingrid Caven: die „große Liebe“
    Elga Sorbas: Marile Kosemund
    Hark Bohm: Polizei-Vorgesetzter
    Walter Sedlmayr: Karren-Verkäufer
    Peter Chatel: Arzt
    Lilo Pempeit: Kundin
    El Hedi ben Salem: Araber
    Heide Simon: Heide
    Sigi Graue: Stammtischbruder
    Harry Baer: erster Kandidat
    Daniel Schmid: zweiter Kandidat
    Marian Seidowsky: dritter Kandidat
    Michael Fengler: Playboy
    Rainer Werner Fassbinder: Zucker

    Handlung:

    Hans Epp ist ein selbstzerstörerischer Mann, der ein unzufriedenes Leben führt.
    Er versucht als Obstverkäufer einen Sinn zu finden, doch ein Herzinfarkt behindert seine Arbeitsfähigkeit.

    Mein Herz schlägt für meine Mama &

  • Hintergründe:

    Fassbinder wollte nach eigenen Angaben ein „simples Melodrama ohne irgendwelche Mätzchen“ zeigen, die Geschichte eines Mannes, der von Frauen zerstört wird.
    Der Film wurde der Beginn der Fassbinder-Filme über Tod und Liebe.

    „Der HÄNDLER ist nach einer Zeit entstanden, in der ich mich sehr intensiv mit den Melodramen von Douglas Sirk beschäftigt habe, und ich hab’ ein paar Elemente, die ich da begriffen hatte, von denen ich auch begriffen hatte, daß das Publikum sie mag und sich dafür interessiert, halt da rein getan.“

    – Corinna Brocher

    Fassbinders langjährigem engen Vertrauten und Mitarbeiter Kurt Raab zufolge setzte Fassbinder mit diesem Film seiner Verwandtschaft „ein grausam ehrliches Denkmal“.
    Der Obsthändler Hans Epp, für den Filmwissenschaftler San-Joon Bae der „lebensmüdeste aller müden Verlierer Fassbinders“, war einem Onkel Fassbinders nachgebildet, der als fliegender Händler tätig gewesen sei, „von der Kundschaft geliebt, von der Familie aber gehaßt und geschaßt, gedemütigt und niedergemacht“.

    Fassbinder selbst, der innerhalb seines Verwandtschaftskomplexes frühzeitig ein Außenseiter war, sei dadurch bereits als Kind sensibilisiert worden für die Problematik von Familie und Verwandtschaft als „Gemeinschaft, in der [der] Konkurrenzkampf härter als anderswo ausgefochten wird, Neid, Mißgunst und Verachtung tödlich sein können, die Unterdrückungsmechanismen gnadenlos praktiziert werden und diejenigen, die es zu nichts bringen, auch im Stellenwert der Familie ganz unten bleiben und den Erfolgreichen als warnendes Beispiel dienen.“

    Die Sensibleren sind die Verlierer, die Erfolgreichen sind die gefühlloseren, die sich an Status-Bildern orientieren, den persönlichen Vorteil nie aus den Augen verlieren.

    Der Film sollte ursprünglich Der Obsthändler heißen, der dem Französischen angelehnte Titel wurde von dem Schweizer Filmemacher Daniel Schmid angeregt, der sich mitsamt seinem Lebensgefährten kurz zuvor der Fassbinder-Entourage angeschlossen hatte.
    Schmid wurde später vor allem durch die Verfilmung von Fassbinders umstrittenem Theaterstück "Der Müll, die Stadt und der Tod" bekannt.

    Der nicht explizit in einen bestimmten historisch-gesellschaftlichen Rahmen gestellte Film spielt nach Ausweis der Kleider, Frisuren und Zimmereinrichtungen in den (späteren) 1950er Jahren.
    Eine Sonderrolle spielte dabei – wie fast immer – Hanna Schygulla, deren Frisur und Kleidung in die vorangegangene NS-Zeit verweisen.
    Einige Utensilien, speziell Telefone und Autonummern, verweisen dagegen auf die Entstehungszeit des Films.
    Da bei Fassbinder keine Kleinigkeit dem Zufall überlassen blieb, müssen solche Stilbrüche als bewusste Irritationen aufgefasst werden.

    Die Filmaufnahmen wurden zum Teil in der privaten Mietwohnung (beziehungsweise dem dieser zugehörigen Hofgelände) des Regieassistenten Harry Baer gedreht.
    Baer erhielt daraufhin – nach einem Aufstand anderer Mietparteien – „wegen nächtlich tumultösem und daraufhin ungebührlich frechem Auftreten stets mehrerer Manns- und Weibspersonen“ die Kündigung präsentiert.

    Die Fremdenlegionärsszene mit El Hedi ben Salem als Quäler wurde bei München auf einem Bundeswehr-Schießplatz an der Ingolstädter Straße gedreht.

    „Dort schaut’s immerhin etwas nach Marokko aus“, so Harry Baer, der nur andeutet („da kann sich jeder denken, was er will“), dass mit dem Wechsel vom eher unterwürfigen Günther Kaufmann zum sadistischen, zu Gewalttätigkeiten neigenden Salem, auch ein Wechsel bei Fassbinders Vorlieben eingetreten sei.

    Die von Kurt Raab dargestellte Figur des karrieristischen Schwagers hat unverkennbar Ähnlichkeiten mit Fassbinders Stiefvater Wolff Eder.
    Raabs Stimme wurde vom Kameraassistenten Peter Gauhe synchronisiert, um „diesem Typen“ – laut Fassbinder – eine etwas menschlichere Note zu geben.

    Marile Kosemund war der Titel eines poetischen Versuchs des lokal bekannten Zeitungsschreibers Siegfried Sommer, der in einer von ihm verfassten Kolumne als Spaziergänger Blasius einst über Fassbinder geurteilt hatte, das einzige, was dieser auszudrücken vermöge, seien die Pickel in seinem Gesicht.

    Ingrid Fassbinder (= Ingrid Caven) agierte (formal?) als Produktionsleiterin, faktisch agierten Fassbinder und Fengler als Produzenten.
    Caven bezeichnete sich, wie Raab es ausdrückte, „mit Wollust“ als „Frau Fassbinder“ – gegen den Willen von Fassbinder („Wenn sie sich im Hotel als Frau Fassbinder anmeldet, krieg ich die Wut“), um sich so gegenüber ihren Konkurrentinnen Irm Hermann, Ursel Strätz und Hanna Schygulla abzuheben.
    Insbesondere Irm Hermann, die sich als die eigentliche und designierte „Frau Fassbinder“, als Fassbinders „Hauptfrau“ gefühlt hatte, sei davon extrem genervt gewesen.
    Gerade dies habe sie möglicherweise – vermutet Raab – zu schauspielerischer Höchstleistung angetrieben.

    Das eifersüchtige Verhalten der Film-Irmgard korrespondierte mit dem Verhalten der sie darstellenden Irm Hermann, die eingestanden hat, dass sie krankhaft eifersüchtig gewesen sei, worauf Fassbinder mit Aggressionen und Gewaltausbrüchen reagiert habe.

    Händler der vier Jahreszeiten markiert einen bedeutsamen Einschnitt in Fassbinders Werk. Seine vorangegangenen neun Kinofilme hatten elitären, nicht auf die Sehgewohnheiten eines größeren Publikums zugeschnittenen Charakter.
    Infolge der Rezeption der Filme von Douglas Sirk begann Fassbinder hier nun, eine mehr an den Wünschen des Publikums orientierte Filmsprache zu entwickeln.
    Er wollte populärer werden, ohne sich selbst zu verraten, ohne die zu vermittelnde Botschaft zu vernachlässigen – nach Ausweis der Kritik ist ihm dies auch nachhaltig gelungen.

    Michael Töteberg beschrieb Fassbinders Perspektivwechsel anhand des veränderten Blicks auf den Menschen.
    Sei er früher darauf aus gewesen, den Kleinbürger zu entlarven, exemplarisch vor allem in dem Film Warum läuft Herr R. Amok?, so zeige er jetzt „die Menschen mit Liebe und Sympathie“ – „Zärtlichkeit mit den Figuren“ sei sein neues Motto, getragen von viel beiliegender Trauer, aber ohne Verachtung

    Mein Herz schlägt für meine Mama &

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